Ja! In dieser Ausnahmesituation gibt es kein richtiges und kein falsches Verhalten. Wie ein Kind sich auch verhält, es ist seine ganz persönliche Antwort auf einen schweren Verlust.
Das ist keine Verhaltensstörung. Das möchte ich an drei Beispielen aus meiner Praxis zeigen:
Trauerabwehr als Selbstschutz:
Die neunjährige Laura ruft ihre Lehrerin zu Hause an, lacht und kichert ins Telefon und sagt dann: „Rate mal, was bei uns zu Hause Tolles passiert ist.“ Und als die Lehrerin es nicht raten kann, sagt Laura: „Die Mama ist heute nacht gestorben.“ Lauras Verhalten irritiert uns Erwachsene. Wir fragen uns: „Hat das Kind denn gar keine Gefühle?“ Laura hat sehr wohl Gefühle, doch was sie erlebt hat, ist für sie so schlimm, dass sie es zunächst einmal wegschieben muss. Solange sie lacht, braucht sie das Erschrecken und die Traurigkeit nicht zu spüren. Was hier als seltsames, vielleicht sogar falsches Verhalten erscheint, ist für Laura richtig und vielleicht auch notwendig, denn es dient dem Selbstschutz. Laura hat noch nicht die Kraft, sich mit der Tatsache des Todes auseinander zu setzen. Ihr Verhalten können wir als Notbremse bezeichnen, mit der sie ihre Not mildert, um nicht davon überrollt zu werden. Wir Erwachsenen sollten die Trauerverweigerung des Kindes hinnehmen, aber gleichzeitig die Tür öffnen für Schritte aus der Abwehr hinaus. Wenn wir Gelegenheiten zur Erinnerung an Verstorbene nutzen, vielleicht auch selbst das Gespräch über sie beginnen, kann auch das Kind seinen Kummer zulassen und ihm Ausdruck verleihen.
Verhaltensänderungen:
Nach dem Tod eines geliebten Menschen werden Kinder oft schwierig. Sie können nicht begreifen, was passiert ist und können das, was sie belastet, nicht in Worte fassen. Ihren seelischen Kummer drücken sie dann in auffälligem Verhalten aus. Dabei bewegen sie sich in zwei entgegengesetzte Richtungen. Entweder werden sie aggressiv. Sie gehorchen nicht mehr, zerbrechen ihre Spielsachen oder zanken mit anderen Kindern. Oder sie werden kleinkindhaft, empfindlich und weinerlich, ja machen sogar wieder ins Bett. Fachleute sehen darin eine Regression; einen Rückschritt in früheres Verhalten.
Magische Vorstellungen und Schuldgefühle:
Manchmal glauben Kinder, dass sie selbst den Tod eines geliebten Menschen verursacht haben, weil sie böse waren, weil sie mit ihm gezankt haben oder ihn weggewünscht haben. Oft leiden sie unter Schuldgefühlen, sprechen aber mit niemandem darüber, weil sie sich schämen. Vorschulkinder sehen die Welt aus ihrer Perspektive. Sie meinen, alles was geschieht, habe mit ihnen zu tun und könne von ihnen beeinflusst werden. So kann ein Kind sagen: "Der Himmel ist so blau, weil ich eine blaue Strickjacke habe." Solch „magisches Denken“ hilft ihnen, Ordnung in die Welt zu bringen und sich stark zu fühlen. Andererseits: Tritt etwas Schlimmes ein, versucht das Kind, das Erlebte in sein Weltbild einzuordnen und erinnert sich an seine „schlimmen“ Taten. Wir Erwachsenen können nicht voraussehen, welche Erklärungen ein Kind für einen Tod findet. Wir wissen auch nicht, welches Kind sich mit Schuldgefühlen plagt. Deshalb brauchen alle Vorschulkinder die ausdrückliche Versicherung, dass weder ihre Handlungen, noch ihre Gedanken den Tod verursacht haben. Auch nach der Trennung oder Scheidung der Eltern sollte den Kindern versichert werden, dass sie nicht schuld sind.