Wie Kinder Trauer verarbeiten

Tabuthema Tod: Kinder trauern anders als Erwachsene. Eine Expertin für Trauer bei Kindern gibt Antworten und Empfehlungen, wie Eltern sie dabei unterstützen können.

 

Drei Filme aus der Sendung mit dem Elefanten beschäftigen sich altersgerecht mit dem Thema Sterben und Beerdigung.

Ein Kind schaut trauernd durch eine Fensterscheibe

Wie zeigt sich Trauer bei Kindern? Eine Expertin gibt Antworten.

Portrait Psychologin Frau Finger

Die Psychologin Gertraud Finger hat sich mit dem Thema wie Kinder trauern intensiv beschäftigt und beantwortet hier wichtige Fragen.

Ist es in Ordnung, wenn ein trauerndes Kind plötzlich wieder ins Bett macht? Sollen Kinder an einer Beerdigung teilnehmen? Und: Wie spricht man mit Kindern eigentlich über den Tod?

Das Verhalten trauernder Kinder ist für Erwachsene nicht immer nachvollziehbar – jedes Kind reagiert anders und jede Reaktion hat ihre Berechtigung.  Wie man ihnen in ihrem Leid beisteht und altersgerecht erklärt, was passiert, erklärt Frau Finger im Interview.

Ein Gespräch über den Tod ist so schwierig, weil Erwachsene oft selbst nicht alles verstehen. Sie fragen sich: „Wie soll ich das, was mich selbst ratlos macht, kleinen Kindern erklären?“ Oder: „Wie soll ich Fragen beantworten, die ich mir insgeheim selbst stelle?“
Kindliche Reaktionen auf den Tod eines geliebten Menschen sind für uns oft schwer auszuhalten. Es gibt so viele unterschiedliche Verhaltensweisen. Ist es in Ordnung, wenn ein Kind nicht aufhört zu weinen, wenn es im Umgang schwierig wird, wenn es wieder ins Bett macht? Ist es in Ordnung, wenn Kinder zwischendurch wieder Quatsch machen?

Ja! In dieser Ausnahmesituation gibt es kein richtiges und kein falsches Verhalten. Wie ein Kind sich auch verhält, es ist seine ganz persönliche Antwort auf einen schweren Verlust.

Das ist keine Verhaltensstörung. Das möchte ich an drei Beispielen aus meiner Praxis zeigen:

Trauerabwehr als Selbstschutz:
Die neunjährige Laura ruft ihre Lehrerin zu Hause an, lacht und kichert ins Telefon und sagt dann: „Rate mal, was bei uns zu Hause Tolles passiert ist.“ Und als die Lehrerin es nicht raten kann, sagt Laura: „Die Mama ist heute nacht gestorben.“ Lauras Verhalten irritiert uns Erwachsene. Wir fragen uns: „Hat das Kind denn gar keine Gefühle?“ Laura hat sehr wohl Gefühle, doch was sie erlebt hat, ist für sie so schlimm, dass sie es zunächst einmal wegschieben muss. Solange sie lacht, braucht sie das Erschrecken und die Traurigkeit nicht zu spüren. Was hier als seltsames, vielleicht sogar falsches Verhalten erscheint, ist für Laura richtig und vielleicht auch notwendig, denn es dient dem Selbstschutz. Laura hat noch nicht die Kraft, sich mit der Tatsache des Todes auseinander zu setzen. Ihr Verhalten können wir als Notbremse bezeichnen, mit der sie ihre Not mildert, um nicht davon überrollt zu werden. Wir Erwachsenen sollten die Trauerverweigerung des Kindes hinnehmen, aber gleichzeitig die Tür öffnen für Schritte aus der Abwehr hinaus. Wenn wir Gelegenheiten zur Erinnerung an Verstorbene nutzen, vielleicht auch selbst das Gespräch über sie beginnen, kann auch das Kind seinen Kummer zulassen und ihm Ausdruck verleihen.

Verhaltensänderungen:
Nach dem Tod eines geliebten Menschen werden Kinder oft schwierig. Sie können nicht begreifen, was passiert ist und können das, was sie belastet, nicht in Worte fassen. Ihren seelischen Kummer drücken sie dann in auffälligem Verhalten aus. Dabei bewegen sie sich in zwei entgegengesetzte Richtungen. Entweder werden sie aggressiv. Sie gehorchen nicht mehr, zerbrechen ihre Spielsachen oder zanken mit anderen Kindern. Oder sie werden kleinkindhaft, empfindlich und weinerlich, ja machen sogar wieder ins Bett. Fachleute sehen darin eine Regression; einen Rückschritt in früheres Verhalten.

Magische Vorstellungen und Schuldgefühle:
Manchmal glauben Kinder, dass sie selbst den Tod eines geliebten Menschen verursacht haben, weil sie böse waren, weil sie mit ihm gezankt haben oder ihn weggewünscht haben. Oft leiden sie unter Schuldgefühlen, sprechen aber mit niemandem darüber, weil sie sich schämen. Vorschulkinder sehen die Welt aus ihrer Perspektive. Sie meinen, alles was geschieht, habe mit ihnen zu tun und könne von ihnen beeinflusst werden. So kann ein Kind sagen: "Der Himmel ist so blau, weil ich eine blaue Strickjacke habe." Solch „magisches Denken“ hilft ihnen, Ordnung in die Welt zu bringen und sich stark zu fühlen. Andererseits: Tritt etwas Schlimmes ein, versucht das Kind, das Erlebte in sein Weltbild einzuordnen und erinnert sich an seine „schlimmen“ Taten. Wir Erwachsenen können nicht voraussehen, welche Erklärungen ein Kind für einen Tod findet. Wir wissen auch nicht, welches Kind sich mit Schuldgefühlen plagt. Deshalb brauchen alle Vorschulkinder die ausdrückliche Versicherung, dass weder ihre Handlungen, noch ihre Gedanken den Tod verursacht haben. Auch nach der Trennung oder Scheidung der Eltern sollte den Kindern versichert werden, dass sie nicht schuld sind.

Es ist für Trauernde tröstlich, wenn sie ihre Trauer mit anderen Menschen teilen. Auch Kindern kann die Beerdigung helfen, die Tatsache des Todes zu verstehen und ihre eigenen Gefühle zu ordnen. Sie sollten aber nur teilnehmen, wenn sie es selbst wünschen, wenn sie darauf vorbereitet werden und wenn sie während der Trauerfeier begleitet werden. Eine gute Vorbereitung ist der Film über die Beerdigung der kleinen Maus. Er zeigt den Ablauf einer Beerdigung und lädt zu einem Gespräch darüber ein. Auch über mögliche Gefühle der Kinder sollte gesprochen werden. Man sollte ihnen versichern, dass solche Gefühle richtig sind und dass sie sich nicht zu schämen brauchen.

Oft können trauernde Eltern ihrem Kind nicht die Zuwendung und Aufmerksamkeit geben, die es braucht. Es ist aber notwendig, dass jedes Kind während der Trauerfeier einen nahen Erwachsenen zur Seite hat, der Fragen beantworten und sich um es kümmern kann. Es darf sich nicht alleingelassen fühlen.

Der Erwachsene kann auch mit dem Kind die Trauerfeier verlassen, wenn es dem Kind zu viel wird. Vom Kind darf nicht verlangt werden, was es nicht tun möchte, zum Beispiel den toten Menschen zu berühren oder an das offene Grab zu treten.

Wenn der Opa im Sterben liegt, verändert sich die Stimmung zu Hause. Das merkt jedes Kind, denn es gibt eine Gefühlsansteckbarkeit zwischen Eltern und Kindern.

Wird dem Kind der Grund für die gedrückte Stimmung verheimlicht, sucht es nach eigenen Erklärungen. Diese können manchmal schlimmer sein als die Wirklichkeit.

Durch sein magisches Denken meint das Kind vielleicht, es selbst habe etwas falsch gemacht oder es glaubt, dass die Eltern es nicht mehr mögen, wenn sie plötzlich keine Zeit und keine Geduld mehr für es haben. Wird dem Kind die Wahrheit gesagt, fühlt es sich nicht mehr so allein.

Es kann sich auf Opas Tod vorbereiten und sogar noch etwas für ihn tun. Das Kind kann dem Opa ein Lied singen oder ein Bild malen. Das macht seine Trauer nach dem Tod des Opas erträglicher, weil es weiß, dass der Opa sich über das Lied oder sein Bild gefreut hat.

Redewendungen zum Tod, die Kinder falsch verstehen

Wir Erwachsenen umschreiben die Tatsache des Todes gern mit anderen Wörtern. Wir möchten, dass das Schreckliche harmloser klingt. Doch vor allem Vorschulkinder nehmen oft wörtlich, was sie hören:

Großvater ist eingeschlafen... Es kann das Kind erschrecken, dass der schlafende Großvater in einen Sarg eingesperrt und in die Erde versenkt wird. Was passiert, wenn er wieder aufwacht und merkt, dass er ganz alleine unter der Erde ist? Es können auch Ängste vor dem eigenen Einschlafen entstehen. Dann fragt sich das Kind: „Werde ich auch begraben, wenn ich schlafe?“

Großmutter ist auf eine lange Reise gegangen... Dann fragt das Kind sich, warum sie sich nicht verabschiedet hat und warum sie nicht zurückkommt. Das Kind glaubt vielleicht, dass die Verstorbene es nicht mehr mag, weil sie sogar seinen Geburtstag vergessen hat.

Onkel Leo war krank... Hier müssen Erklärungen über schwere und leichte Erkrankungen folgen, damit das Kind nicht glaubt, bei jeder Erkältung sterben zu müssen.

Familie Meier hat ihre Monika verloren... Was man verloren hat, kann man wiederfinden. Warum suchen die Eltern ihre Monika nicht?

Opa wohnt jetzt im Himmel...  Aber das Kind hat doch gesehen, dass der Opa beerdigt wurde. Ein toter Mensch kann nicht gleichzeitig im Himmel und unter der Erde sein. Wo ist er wirklich?

Gott nahm ihn zu sich, weil er so gut war... Dann will das Kind nicht mehr gut sein, damit Gott es nicht zu sich holt. Oder das Kind kann Gott als Feind erleben, der ihm den geliebten Menschen weggenommen hat.

Videos zum Thema Sterben und Tod

Nachfolgend finden Sie drei Beiträge aus der Sendung mit dem Elefanten, die sich kindgerecht mit dem Thema Sterben und Tod beschäftigen. Zudem erklärt die Expertin Gertraud Finger, warum diese Geschichten beim Trauern helfen können.

Schauen Sie die Filme vielleicht einmal alleine und dann gemeinsam mit Ihrem Kind an. Sprechen Sie mit Ihrem Kind über das Gesehene, wenn es möchte.

Das gestorbene Haustier beerdigen – was lernen Kinder dabei?

Clemens und Jakob sind Grundschüler. Ihr Haustier, die Maus Pieps ist gestorben.

Das ist für die Kinder natürlich traurig, aber in diesem Alter haben Kinder ein starkes Interesse am Tod. Sie möchten wissen, wie Tote aussehen, wie sie beerdigt werden, sie lesen Inschriften auf Grabsteinen und rechnen aus, wie alt Menschen geworden sind.

Hier gestalten die Kinder spielerisch eine Beerdigung. Dabei achten sie darauf, dass alles so korrekt wie möglich abläuft. Sie machen der Maus ein Abschiedsgeschenk und tun dabei, ohne es zu merken, auch etwas für sich selbst.

Das kann ihnen helfen, sich bei der Beerdigung eines Menschen nicht mehr so verloren und überwältigt zu fühlen. Gelegenheiten zu dieser kleinen Trauer sollten nicht verstreichen und ein verstorbenes Tier nicht versteckt und auch nicht eilig durch ein neues ersetzt werden.

Der alte Dachs stirbt friedlich – wie helfen Erinnerungen beim Trauern?

Kinder erfahren hier, dass der Tod zum Leben gehört. Aber auch, dass man sich Verstorbenen im Erinnern nahe fühlen kann. 

In Leb' wohl, lieber Dachs! stirbt der alte Dachs und seine Freunde sind traurig. Dann treffen sie sich und tauschen Erinnerungen an schöne Momente mit dem Dachs aus und sind dankbar. Der Film zeigt, wie heilsam Erinnerungen sind. Solange wir an den verstorbenen Menschen denken, können wir ihn nicht verlieren. Er gehört zu uns. 

Kleine Kinder brauchen zur Erinnerung nicht so viele Worte, sondern Gegenstände, die dem verstorbenen Menschen gehörten. Diese werden zu einem Verbindungsstück, mit dem das Kind sich der verstorbenen Person nahe fühlt. 

Zudem sind bei Leb' wohl, lieber Dachs! Tiere die handelnden Personen. Tiere bieten dem Kind die Möglichkeit, das Gesehene nicht zu sehr an sich herankommen zu lassen. Es kann in den handelnden Figuren nur trauernde Tiere sehen, aber vielleicht auch seine eigenen Gefühle erkennen. Das Kind kann hier selbst bestimmen, wie weit es sich schützen muss. 

Wie kann ein Ausflug zum Friedhof helfen?

Besonders kleine Kinder beobachten gerne, was andere Kinder machen. Hier können sie sehen, wie ein Kind seine verstorbene Oma ganz selbstverständlich auf dem Friedhof besucht.

Cosima ist drei Jahre alt und malt zu Hause ein Bild für ihre Oma. Dann ist sie mit ihrer Mutter auf dem Friedhof und gießt die Pflanzen auf dem Grab. Es ist für sie normal, ihre Oma dort zu besuchen und kurz an sie zu denken. Zum Schluss sagt sie "Tschüss, Oma!"

Der Besuch auf dem Friedhof ist hier ein alltägliches Erlebnis und er zeigt auch kleinen Kindern, dass das eine Art ist, sich an Verstorbene zu erinnern. 

Tipps für Trauer bei Kindern kann Eltern entlasten

Expertin Frau Gertraud Finger: Eltern fühlen sich erleichtert, wenn sie erfahren, dass viele kindliche Verhaltensweisen, die ihnen unverständlich sind oder sie sogar erschrecken, für ihre Kinder sinnvoll und notwendig sind.

Das beschreibe ich auch in meinem Buch Wie Kinder trauern – So können Eltern die Selbstheilungskräfte ihrer Kindern fördern (Getraud Finger, Kreuz Verlag, 2008). Dann sagen sie: „So habe ich das noch nie gesehen.“

Dieser andere Blick verändert auch die Haltung der Eltern. Sie können dann ihre eigene Trauer zulassen und die Trauer ihrer Kinder aushalten. Es hilft Kindern sehr, wenn ihre Gefühle nicht einfach übersehen oder weggewischt werden.