Interview mit Autorin Birte Müller

Birte Müller ist Illustratorin und Autorin und hat unter anderem das Buch Planet Willi geschrieben: In dem Buch geht es um ihren Sohn Willi geht, der das Down-Syndrom hat.

Hier beantwortet Birte einige Fragen zu ihrem Buch und ihrem Leben mit Willi.

Beitragsbild

Wie ist es zu der Metapher gekommen, dass Willi nur zu Besuch auf der Erde ist?

Als Willi geboren wurde und dann schwer krank war, hatte ich selber das Gefühl von einem anderen Planeten zu stammen. Es war für mich wirklich nicht nachzuvollziehen, dass Menschen aus meinem Umfeld sich ernsthaft über Kristallzucker im Geburtstagskuchen aufregen konnten.

Als Willi später gesund war und sich weiterentwickelte, wurde es dann bei uns zum Running-Gag als Begründung für Willis originelles Verhalten. Vielleicht macht man das ja so auf Willis Planeten, dass man Apfelsaft in die Handtasche seiner Mutter füllt?

Das Gleichnis mit dem anderen Planeten steht vielmehr dafür, dass Willi anders ist – aber nicht schlechter! Willi genügt nur den Erdenmaßstäben nicht – auf SEINEM Planeten wären wir die eingeschränkten. Wenn man mal genau hinschaut, ist auf Planet Willi alles viel besser als hier!

Birte Müller mit ihrem Sohn Willi

Als Besucher auf Zeit habe ich Willi aber nie empfunden. Vielmehr habe ich immer gestaunt darüber, dass mir dieser kleine Mensch so perfekt vorkommt, obwohl er ja genetisch betrachtet so ganz falsch ist. Das Gleichnis mit dem anderen Planeten steht vielmehr dafür, dass Willi anders ist – aber nicht schlechter! Willi genügt nur den Erdenmaßstäben nicht.

Die eigentliche Botschaft ist, dass niemand sich Liebe verdienen muss, egal was er kann oder nicht kann, woher er kommt oder wie er aussieht. Jeder Mensch ist auf der Erde willkommen!

Ist „Hauptsache gesund!“ etwas, das du werdenden Eltern wünschen würdest?

„Hauptsache nicht behindert“ würde ich niemals sagen. Ich kenne so viele glückliche Familien mit behinderten Kindern. Bewusst aussuchen tun es sich bestimmt wenige – aber ich kenne auch Paare, die behinderte Kinder gezielt adoptiert haben – doch es gibt einem die Chance, das Leben noch einmal ganz anders zu begreifen und sich von Leistungsdruck und gesellschaftlichen Zwängen zu befreien!

Hauptsache gesund! ist auf jeden Fall etwas, was ich allen werdenden Eltern wünsche! Es war der größte Schmerz, den ich jemals fühlen musste, als unser Baby so schwer krank war. Vor allem die Epilepsie war eine Krankheit, mit der ich mich zu keinem Zeitpunkt abfinden konnte. Aber das alles stand nicht im Zusammenhang mit Willis Behinderung. Es war einfach Zufall.

Beitragsbild

Kleine Kinder sprechen oft sehr direkt über behinderte Menschen: Papa, was hat das Kind? Wie sollten Eltern darauf reagieren?

Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Ich habe zum Beispiel von Müttern von Rolli-Kindern unterschiedliche Reaktionen gehört. Die eine findet es richtig nett, wenn Leute auf der Straße sagen, der Junge habe einen coolen Rolli. Eine andere Mutter wird bei dem Satz wütend, weil sie es für verlogen hält, denn es sei ja nun gar nichts cooles dabei, dass ihr Kind im Rollstuhl sitzt.

Tatsächlich mag ich auch keine Kommentare, die mich trösten wollen, denn ich bin ja gar nicht traurig. Kleinere Kinder sind aber sehr ehrlich und das stört mich nie. In der Regel suche ich das Gespräch mit den Kindern und erzähle ihnen, warum Willi so komisch ist. Manchmal habe ich aber auch einfach keine Lust zu erklären, das ist ja auch mein gutes Recht, finde ich.

Was ich überhaupt nicht mag ist, wenn die Eltern ihren Kindern bei Fragen den Mund verbieten oder Sätze sagt wie: Es hat eben nicht jeder so viel Glück wie Du. Was wissen die schon über unser Glück? Dann erkläre ich doch etwas über Willi, aber eher den Eltern, als den Kindern.

Was hilft dir in deinem Familienalltag?

Auch als Mutter ist man ein Wesen mit eigenen Bedürfnissen und die sollte man nie aus den Augen verlieren. Bei mir ist es die kreative Arbeit, die ich brauche um ausgeglichen zu sein. Bei anderen ist es sicher etwas Anderes.

Aber eine entspannte Mutter – und ihre bedingungslose Liebe – sind für Kinder bestimmt wichtiger als drei Therapieeinheiten Logopädie und Frühförderung die Woche. Ich habe leider eine ganze Weile gebraucht, um das zu verstehen. Auf dem Weg dorthin ging es mir oft sehr schlecht, ich war einfach so belastet und erschöpft, dass meine Psyche das nicht mehr ausgehalten hat. Bei anderen ist es der Körper, der die Reißleine zieht, damit man etwas verändert.

Das Wichtigste, was ich lernen musste (und immer noch übe) ist, nach Hilfe zu fragen (und sie anzunehmen) und ich muss endlich aufhören, so perfekt sein zu wollen. Scheinbare Mängel machen uns als Charakter doch auch aus. Willi ist das beste Beispiel.

Und wer hat eigentlich bestimmt, dass eine allzeit ordentliche Wohnung so erstrebenswert ist? Mir geht es viel besser, seit ich es nicht mehr versuche!

Wie sieht deine Vision einer inklusiven Welt aus?

Ich denke Willi kommt von einem inklusiven Planeten. Deswegen gibt es das WORT Inklusion dort nicht mal. Genau das müssen wir anstreben!

Oft wird aus Inklusion eine Art gut gemeinte Gleichmacherei. Man versucht so zu tun, als seien alle Menschen unterschiedlich und somit ja auch alle wieder gleich. Leider hilft das überhaupt nicht weiter.

Ich denke, man darf Unterschiede benennen, um sie zu erklären und zu verstehen. Nur so kann man auch unterschiedliche Bedürfnisse erfüllen und es bedeutet auch, dass nicht für alle Menschen das Gleiche gleich gut ist!

Meine Vision ist eine wahrhaft tolerantere Gesellschaft, in der wir uns nicht für jede kleine Rücksichtnahme innerlich selber auf die Schulter klopfen. Eigenschaften wie Schwarz, weiß, ausländisch, weiblich, männlich oder behindert sind einfach wertfreie Adjektive. Dann braucht man auch keine Anti-Diskriminierungs-Kommissionen mehr, weil Worte keine Rolle spielen, sondern nur unsere Taten. Außerdem würde in dieser Welt niemals jemand auch nur auf die Idee kommen, Worte wie behindert, schwul oder Opfer als Schimpfwort zu benutzen!

Wir hätten keine Angst mehr vor dem Unbekannten und dem Fremden, sondern würden es immer als Bereicherung begreifen. Es ginge uns endlich nicht immer nur um uns selber. Der Reichtum der Erde würde gleichmäßig verteilt, Wachstum wäre nicht mehr unsere Wirtschaftsreligion und der Schutz der Natur stünde an oberster Stelle... He – Ihr hattet nach einer Vision gefragt!

Was wünschst du dir konkret von anderen Menschen, die mit Willi Zeit verbringen?

Grundsätzlich freue ich mich immer, wenn andere Menschen überhaupt mit Willi Zeit verbringen. Eigentlich ist das nur in der Schule der Fall und innerhalb der Familie. Zu anderen Kindern oder deren Geburtstagen ist Willi nie eingeladen und es kommt auch nie ein Kind, um mit Willi zu spielen. Es ist ja auch nicht einfach mit ihm, er mag erstmal keine Veränderungen und die Sprachbarriere ist groß.

Aber wer auf Willi zugeht und sich beim Spiel von ihm leiten lässt, der benötigt dafür gar keine Lautsprache. Wer bereit ist, Willis Lachen zu erwidern und ihn bei seinen ewigen Wiederholungen beim Murmeln, Fernsehen oder Puzzeln zu begleiten, der wird von Willi geliebt werden, ganz ohne Worte.

Und ich schwöre, das fühlt sich toll an!